Résumé
Kenntlich genug heben sich zwei Typen unter den großen Geistern in Wissenschaft und Literatur voneinander ab: die großen Beginner und die großen Vollender. Es sind die letzteren, die man im eigentlichen Sinne des Wortes als klassisch bezeichnen kann. Ihnen ist es gegeben, jede Regung, welche sich in der vor ihnen liegenden Epoche zur Geltung gebracht hatte, mit vollendeter Klarheit zusammenzufassen und auszusprechen, ihr Stil verrät die Sicherheit und Schärfe des zu sich selbst gekommenen Bewußtseins, sie bringen das auf die einfachste, sinnreichste Formel, sprechen das mit vollendetem Schwung aus, was die Herzen der Besten der Mitlebenden erfüllt. Was sie geben, kann nicht mehr überboten werden, sie sind der Zeitgeist in Menschengestalt, und deshalb werden ihre Werke auch dauern, wenn die Menschheit schon längst zu anderen Zielen vordringt; denn in diesen Werken spricht sich eine lange Entwickelung bedeutsam aus. Sie stehen jenseits von wahr und falsch, sie sind klassische Kunstwerke. So hat Voltaire geschrieben; mit Recht galt er den Besten seiner Zeit als das unerreichte Muster des philosophischen Denkens, der poetischen Darstellung, der treffenden Satire. Er sagte das, was jeder seiner Leser zu sagen sich sehnte, aber er sagte es so, wie sie es niemals vermocht hätten. In ihm kulminiert die ganze Geistesrichtung, die wir als die Zeit der Aufklärung bezeichnen; sie kulminiert in ihm, aber sie erschöpft sich auch in ihm. Da erblicken wir neben Voltaire einen Mann ganz anderen Schlages, dem es nicht darauf ankommt, die Bestrebungen seiner Zeit in klarsten und reinlichsten Umrissen festzuhalten, einen Mann, der eine andere Welt, eine neue Zeit, die nur er ahnt, im Busen trägt und der sich nun bemüht, diese Fülle der Gesichte der Mitwelt zu künden, dessen Sprache, bald pathetisch, bald ermahnend und scheltend, mitunter einen fast grotesken Eindruck macht, der den Mitlebenden nicht als ein Heros erscheint, sondern als eine Mischung von Narrheit, Fanatismus und Paradoxie: dieser Mann ist Rousseau.